Reise durch das Baltikum – Zwischen Bernsteinküste und Moorland

Eine Reise durch das Baltikum war schon länger mein Wunsch. Von allen Seiten kamen lobende Worte über die drei Länder zwischen Ostsee und russischer Grenze: beeindruckende Natur, faszinierende Kulturbauten, wechselvolle Geschichte – und vor allem eine leere Gegend mit wenig Touristen. Da ich die Reise in den September legte, würde es noch ruhiger sein, hoffte ich. So war es dann auch.

Nach dem Studium der Literatur war ich gespannt auf drei Dinge:

Die Landschaft – Kurische Nehrung, Sanddünen, Kiefernwälder, leere Strände, Moorlandschaften und Nationalparks,

Die Architektur – von mittelalterlichen Ordensburgen über Barockschlösser bis zum Rigaer Jugendstil,

Die Geschichte – vom Deutschen Orden über die russische Zeit und sowjetische Besatzung bis zum Kampf um die Unabhängigkeit.

Mit dem Reise Know-How Reiseführer Baltikum, dem DUMONT Reise-Handbuch Reiseführer Baltikum und Karten von freytag & berndt ausgerüstet, ging es am 6. September 2025 los, mit meinem T4-California, mit dem ich schon viele Reisen zuvor durchgeführt hatte.

Litauen – Grenzland und Nehrung

Vom Dreiländereck zum Kurischen Haff – der Grenze entlang

Während meiner Polen-Reise 2020 stand ich auf der Frischen Nehrung, an der südlichen Grenze der Oblast Kaliningrad, und durfte nicht nach Königsberg fahren.
Auch diesmal lag diese Oblast irgendwie im Weg, und es blieb mir nur, mit skeptischem Blick daran vorbeizufahren. Wie viel deutsche Geschichte steckt in dieser Oblast!

Reise durch das Baltikum

Mein erster Anlaufpunkt im Baltikum, in Litauen, war das Dreiländereck Polen-Litauen-Oblast Kaliningrad.
Die Sicherung des Grenzsteins, an dem man, Gelenkigkeit vorausgesetzt, in drei Ländern hätte gleichzeitig sein können, ist schwer überwindbar und mutet an wie ein Relikt aus der Zeit des Eisernen Vorhangs.

Der Grenze entlang nach Norden stößt man auf die Memel, hier Nemunas genannt, die nach Westen fließt und ebenfalls die Grenze zur Oblast bildet. Am jenseitigen Ufer der Memel liegt das unerreichbare Tilsit. Kaum vorstellbar, dass hier auf zwei Pontons im Fluss im Juli 1807 der Friede zu Tilsit geschlossen wurde.
Napoleon soll von der preußischen Königin Luise dermaßen entzückt gewesen sein, dass er die – ursprünglich beabsichtigte – komplette Auflösung des Staates Preußen nicht mehr verfolgte.

Reise durch das Baltikum

Nachdem die Memel ihre Reise nach Westen fortsetzt, teilt sie sich bei Rusnė in ein Delta und fließt in das Kurische Haff. Im Norden wird das Memel-Delta begrenzt durch das Kap Ventė, bekannt durch Leuchtturm und ornithologische Station. Außerdem ist hier eine der ältesten Vogelberingstationen Europas. An der Hauptzugstrecke der Zugvögel gelegen, ist der Ort für sie ein beliebter Zwischenstopp. In der Hochsaison rasten hier täglich bis zu einer Million Vögel.

Mein heutiger Stellplatz Ventainė, hart nördlich des Kaps, ist ein stiller Ort. Er liegt unmittelbar am Wasser, mit freiem Blick über das Haff nach Westen. Dabei ergeben sich schöne Stimmungen abends im Sonnenuntergang und tagsüber, wenn die weißen Dünen von der Nehrung herüberleuchten.

Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum

Kurische Nehrung – UNESCO-Welterbe

Der Weg über Land zu den Dünen der Kurischen Nehrung führt über Klaipéda. Die alte Poststraße, die von Kaliningrad (Königsberg) heraufführt, ist aus bekannten Gründen gesperrt.
In Klaipéda (Memel) muss man eine Fähre nehmen, um den Nemunas (Memel) zu überqueren, der hier in die Ostsee mündet.

Die Kurische Nehrung ist von jeher ein beeindruckendes Stück Natur. Die Landschaft mit Kiefern, dem Haff, umgeben von Dünen und in weiches Licht getaucht, wurde schon früher als südländisch empfunden und hat besonders Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche Künstler angelockt. Das besondere Licht hat unter anderem auch die expressionistischen Maler Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff begeistert.

Thomas Mann

Auch Thomas Mann hatte nach einem Sommerurlaub in Nida (Nidden) 1929 spontan beschlossen, hier ein Sommerhaus bauen zu lassen – leider konnte die Familie Mann hier nur drei Jahre, bis 1932, ihre Sommerferien verbringen. 1933 war die Familie vom faschistisch regierten Deutschland gezwungen, ins Exil zu gehen. Nach dem letzten Krieg restauriert, ist das Haus inzwischen ein kultureller Mittelpunkt der Nehrung.
Es war mäßig besucht im September 2025, im Gegensatz zur Hauptsaison. Ich konnte in Ruhe die Exponate betrachten und einen langen Blick aus dem Arbeitszimmer auf das Haff werfen. Es hat sich gelohnt.

Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum

Die Nehrung selbst ist 98 km lang, von denen der 46 km lange südliche Teil zu Russland gehört und bis 1945 ein Teil Deutschlands war. Der 52 km lange nördliche Teil gehörte seit Ende des Ersten Weltkriegs zu Litauen, war von 1942 bis 1945 deutsch annektiert, von 1945 bis 1990 Teil der UdSSR und ist seit 1990 Teil des unabhängigen Litauen (soviel zur Geschichte, die ich hier lernen musste). Thomas Mann residierte also im damaligen litauischen Teil der Nehrung.

Die Dünen

Das Landschaftsbild wird im Wesentlichen durch die Dünen geprägt, die unbewachsen bis zu 59 m hoch sind (Naglių kopa, Vingio kopa).
Vor rund 500 Jahren holzten die an der Nehrung lebenden Menschen die Kiefernwälder weiträumig ab. Die Natur rächte sich: die Dünen begannen zu wandern und begruben insgesamt 14 Dörfer unter sich. Manche Ortschaften zogen sogar zweimal um und wurden doch wieder von den Sandmassen eingeholt.
Erst als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder Bodenbedeckung gepflanzt wurde, beruhigten sich die Dünen. Deshalb ist die höchste Düne (Vecekrugo kalnas), 67 m, auch bewachsen.

Da fast die gesamte Nehrung ein Nationalpark ist und zum UNESCO-Welterbe gehört, gelten strenge Regeln für den Aufenthalt in der Natur. So sind Parken und Campen abseits der zugewiesenen Plätze sowie das Betreten der Dünen abseits der zugewiesenen Wege streng verboten.
Dass die Natur sich in der letzten Zeit so vorteilhaft entwickeln konnte, ist auch der Zeit der sowjetischen Besetzung geschuldet. Unter den Sowjets war die Nehrung militärisches Sperrgebiet und hermetisch abgeriegelt.

Ich hatte mich zum Wandern auf die Naglių kopa entschieden. Zuvor musste ich aber meinen Obolus zur Erhaltung der Umwelt entrichten und kam zu einer Vergünstigung als „Senior“ (über 65 Jahre alt). Zunächst sind entlang des abgegrenzten Weges Bohlen ausgelegt, danach geht es durch den Sand. Am Ende des Weges, an der höchsten Stelle, steht eine Aussichtsplattform, die einen vorzüglichen Überblick bietet über die Nehrung, mit Sicht auf und über das Haff, die Dünen und die Ostsee.

Reise durch das Baltikum
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Klaipéda

Nach dem Besuch der Nehrung habe ich noch einen Abstecher nach Klaipéda gemacht.
Die Zeit war knapp, denn ich hatte nur 16 Tage für das Baltikum und wollte möglichst viel sehen.
In Erinnerung ist mir geblieben der rege Besuch der einheimischen Gastronomie (an einem Montag) am Rande der Altstadt.
Und nachdem ich in der BRD von älteren Ostpreußen gelegentlich etwas vom „Ännchen von Tharau“ gehört hatte, habe ich dann das Denkmal des Dichters, Simon Dach, auf dem Theaterplatz begutachten können.
Hier waren dann doch noch wahrnehmbar viele geführte Touristengruppen unterwegs.

Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum

Meinen Platz zum Übernachten fand ich hart südlich Palanga. Ein netter moderner Campingplatz, der wenig belegt war. Sehr angenehm.

Lettland – die Ostseeküste bis Riga


Die Küstenlandschaft ist abwechslungsreich und vielfältig und überrascht auf ihrer ganzen Länge immer wieder mit Dünen, Steilufern, Sandsteinfreilegungen, Kiefernwäldern, beeindruckenden Steinen, Höhlen, Leuchttürmen und früheren Fischerdörfern. Ab und zu findet man auch kleine, funkelnde Stückchen von Bernstein, nicht umsonst nennen die Letten die Ostsee auch das Bernsteinmeer. Fast auf der gesamten Länge sind die kurländische und die livländische Küste naturbelassen und menschenleer.
Worauf man immer wieder stößt im Baltikum, sind die Hinterlassenschaften der Sowjets aus der Zeit der Baltischen Sozialistischen Sowjetrepubliken. Relikte militärischer Anlagen und ehemaliger Kolchosen sind stumme Zeugen einer dunklen Vergangenheit und der damit verbundenen Drangsalierungen der einheimischen Bevölkerung. Weite Bereiche der Küste waren ehemals Sperrgebiet.

Von Pape bis Ventspils

Pape

Pape, kurz hinter der Grenze von Litauen, ist der südlichste Ort der lettischen Ostseeküste im historischen Bereich Kurland. Es ist ein Ort und ein Naturschutzgebiet an der Küste der Ostsee. Das Naturschutzgebiet ist bekannt für den Pape-See, Vogelbeobachtungsmöglichkeiten, Wildpferde und Auerochsen sowie Naturpfade. Es gibt dazu ein Besucherzentrum und eine historische Fischereisiedlung, Papes Ķoņi, die ein architektonisches Denkmal von nationaler Bedeutung ist.

Der Ort ist auch ein gutes Beispiel für die Schatten der sowjetischen Zeit: in der Nähe lag ein militärisches Übungsgelände mit Raketenbasis. Inzwischen sind nur noch Ruinen verblieben.

Reise durch das Baltikum
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Kalēji – meine Oase

Den für mich schönsten Campingplatz habe ich abseits des Mainstreams auf Schotterstraßen erreicht.
Der Ort heißt Kalēji und liegt idyllisch unter Bäumen fast am Meer. Außer mir war keiner mehr auf dem Platz, der insgesamt liebevoll ausgestaltet war. Und zu meinem Glück gab es an diesem Abend auch noch einen sehenswerten Sonnenuntergang. Ein wirklich erholsamer Abend.

Reise durch das Baltikum
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Jūrkalne – die Küstenerosion

Die spektakulären Steilküsten von Jūrkalne sind nicht nur ein fotografisches Highlight – sie zeigen auch die dramatischste Küstenerosion Lettlands.

Die lettische Ostseeküste ist zunehmend von Küstenerosion betroffen. Besonders stark trifft es die Steilküsten bei Jūrkalne und die offenen Sandstrände im Westen. Studien zeigen, dass die Küstenlinie in einigen Bereichen bis zu einem Meter pro Jahr zurückweicht. Bis zum Jahr 2100 könnte das Meer weitere 35 Meter der Küste verschlingen.

Die Ursachen sind vielfältig: Neben den natürlichen Kräften von Wellen und Strömungen spielen auch geologische Faktoren eine Rolle – die eiszeitlichen Ablagerungen, aus denen weite Teile der Küste bestehen, sind besonders anfällig für Erosion. Hinzu kommen menschliche Eingriffe: Hafenbauten und Bebauung verändern die Sedimentverteilung und verstärken die Erosion andernorts.

Zur Überwachung setzen Wissenschaftler heute Satelliten und Drohnen ein, die präzise Karten der Küstenveränderungen liefern. Langfristig sind sowohl technische Maßnahmen (Wellenbrecher, Sandaufspülungen) als auch ökologische Ansätze wie Dünenrenaturierung nötig. Die lettische Regierung arbeitet derzeit an einem nationalen Küstenschutzplan.

Reise durch das Baltikum
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Abstecher nach Kuldīga – Perle in Lettland und Weltkulturerbe

Auch wenn Kuldiga (früher Goldingen) nicht am Weg entlang der Küste liegt, aber die Stadt mit dem Kern als Welterbe und dem breitesten Wasserfall Europas konnte ich nicht links (rechts) liegen lassen.

Historischer Stadtkern

Die Altstadt von Kuldīga ist seit 2023 UNESCO-Welterbe und ein außergewöhnlich gut erhaltenes Beispiel für traditionelle baltische Architektur des 13. bis 19. Jahrhunderts.

Ein bedeutender Teil der Geschichte steht im Zusammenhang mit dem Herzogtum Kurland und Semgallen (1561–1795), dessen erstes Verwaltungszentrum die Stadt bildete. Der internationale Handel des Herzogtums und seine diplomatischen Beziehungen zu allen europäischen Großmächten spiegeln sich bis heute im Stadtbild wider: Die Altstadt weist ein Stadtbild mit bemerkenswerter Dichte gut erhaltener Architektur des 17. und 18. Jahrhunderts auf – sowohl traditionelle Holzhäuser als auch steinerne Bürgerhäuser und öffentliche Gebäude.

Kuldiga
Kuldiga
Kuldiga
Kuldiga
Kuldiga
Kuldiga
Die Backsteinbrücke

Zum Stadtbild von Kuldīga gehört zweifelsohne auch die Backsteinbrücke über die Venta.
Sie wurde 1874 erbaut und ist mit einer Länge von 164 m die längste Autobrücke dieser Art in Europa. Mit sieben Bögen auf Feldsteinpfeilern war sie nicht nur die größte und prachtvollste Brücke in Lettland, sondern eine der modernsten in Europa. Von den Leistungen im Brückenbau zeugte damals die Brückenbreite, die die Fahrt zweier entgegenkommender Kutschen ermöglichte.

Kuldiga
Kuldiga
Kuldiga
Ventas Rumba

Besonders tief fallen die Wassermassen am Ventas Rumba in Kuldīga nicht. Gerade mal zwei Meter Höhe überwindet der Wasserfall, der eher durch seine Breite imponiert. Bis zu 249 Meter Breite dehnt sich der breiteste Wasserfall Europas aus. Und das Besondere: man kann ihn nicht nur bewundern, sondern auch tatsächlich erleben.
Im Sommer taugt der Venta-Wasserfall zur Abkühlung. Da die Strömungen als überschaubar gelten, darf der Wasserfall zu Fuß über die Abbruchkante überquert werden und auch ein Bad im kühlen Wasser ist drin. Wer nicht ins Wasser will, hat den besten Blick von der Backsteinbrücke. Im September 2025 habe ich mich allerdings mit dem Blick von der Brücke begnügt.

Kuldiga

Ventspils

Die Hafenstadt Ventspils (deutsch Windau), mit über 30 000 Einwohnern sechstgrößte Stadt Lettlands, wird ihrem Ruf als industriell geprägte Stadt durchaus gerecht. Unter sowjetischer Herrschaft wurde eine Ölpipeline nach Ventspils errichtet, und die Stadt avancierte zu einem der wichtigsten Häfen für den Erdöl-Export der UdSSR. Durch die Einnahmen des Hafens ist Ventspils heute eine der wohlhabendsten Städte Lettlands.

Aufgrund der Vergangenheit als Stadt des Deutschen Ordens und später als Hansestadt gibt es einige historische Relikte zu sehen: die alte Ordensburg aus dem 13. Jahrhundert und die evangelisch-lutherische St.-Nikolaus-Kirche prägen das Stadtbild.

Das eigentliche Leben spielt sich am Hafen entlang der Venta ab. Hier findet auch die berühmte Kuh-Aktion statt – bunt bemalte Kuhskulpturen, die über die Stadt verteilt sind. Im südlichen Teil liegen einige Markthallen, und an der Nordspitze gibt es einen Aussichtsturm sowie zwei historische Fischerboote auf dem Trockenen zu besichtigen.

Ventspils ist keine klassische Touristenstadt, aber als wichtiger Verkehrsknotenpunkt und mit seiner funktionalen Hafenarchitektur durchaus sehenswert. Mein Rundgang war nach ein bis zwei Stunden beendet.

Ventspils
Ventspils
Ventspils

Die Livländische Küste ab Ventspils

Die Livländische Küste (livländisch: Līvõd rānda; lettisch: Lībiešu krasts), auch bekannt als Livland, ist ein kulturell geschütztes Gebiet Lettlands, das historisch vom Volk der Livländer bewohnt war. Es befindet sich im nördlichen Kurland und umfasst zwölf livländische Dörfer. Das Schutzgebiet ist etwa 60 Kilometer lang, an dessen nordostwärtiger Spitze das Kap Kolka liegt.

Kap Kolka – Ostsee und Rigaer Bucht

Das Kap Kolka (lettisch: Kolkasrags) markiert die nördlichste Spitze Kurlands und gilt als einer der spektakulärsten Orte der lettischen Küste. Hier treffen Ostsee und Rigaer Bucht aufeinander – ein Naturschauspiel, das man bei ruhigem Wetter an der unterschiedlichen Färbung des Wassers erkennen kann. Bei Sturm jedoch zeigt sich die ganze Kraft der aufeinanderstoßenden Strömungen: meterhohe Wellen brechen sich, Gischt spritzt, und der Wind treibt einem den Sand ins Gesicht. So ähnlich war es auch am 11. September 25. Ich wollte es nicht glauben, aber die Wellen schlugen tatsächlich deutlich sichtbar und vehement gegeneinander.

Die Landschaft rund um das Kap ist karg und windgepeitscht. Schmale Kiefernwälder wechseln sich ab mit Dünen und endlosen Stränden, an denen sich Treibholz türmt. Bei meinem Besuch, außerhalb der Saison, bin ich hier nur wenigen Menschen begegnet – meist Einheimischen, die ihre Hunde ausführen oder einfach die Weite genießen.

Das Kap liegt im Slītere-Nationalpark (SNP), der sich über 163 Quadratkilometer entlang der Küste und ins Hinterland erstreckt. Der Park schützt eine einzigartige Mischung aus Küstendünen, Feuchtgebieten, Mischwäldern und den kulturellen Spuren der Liven. Paradoxerweise hat ausgerechnet die sowjetische Besatzung zum Erhalt dieser weitgehend unberührten Natur beigetragen: Während der Sowjetzeit war die gesamte Küstenregion militärisches Sperrgebiet, für Zivilisten unerreichbar. Was damals Repression bedeutete, erwies sich langfristig als ungewollter Naturschutz – die Landschaft blieb jahrzehntelang von menschlichen Eingriffen weitgehend verschont und konnte sich ungestört entwickeln.

Kap Kolka
Kap Kolka
Kap Kolka
Kap Kolka

Radioteleskope bei Irbene – Erbe der Sowjets

Auf einer Fläche von 200 Hektar war Irbene früher ein streng geheimer militärischer Stützpunkt der sowjetischen Armee. Das Objekt war so geheim, dass es erst 1993 ans Tageslicht kam. Selbst den Einheimischen war es bis dahin unbekannt.

Kein Handyempfang im Umkreis von acht Kilometern – Sperrzone. Drei Kontrollpunkte zwischen der Außenwelt und hier. Irbene war ein Hochsicherheitstrakt: keiner kam raus, keiner rein. Es hatte die höchste Geheimhaltungsstufe.

Der Komplex wurde in den 1960er Jahren als geheimes sowjetisches Zentrum zur Abhörung westlicher Kommunikation gegründet. Kern der Anlage waren drei Radioteleskope mit 8, 16 und 32 Meter Durchmesser, die der Spionage dienten und unter anderem zum Abhören des Mittelmeerraums und zur Überwachung kommerzieller Satelliten eingesetzt wurden.

Mitten in diesem militärischen Sperrgebiet entstand eine komplette, aber geheime Stadt mit Wohngebäuden, Schulen, Geschäften und Sportanlagen, die auf keiner Karte verzeichnet war. Hier waren bis zu 4.000 Personen untergebracht: Offiziere, Ingenieure, Techniker und deren Familien.

Die Mini-Stadt ist inzwischen frei zugänglich, aber weitgehend verfallen – ein einziger riesiger Lost Place. Zwei der Radioteleskope werden heute zivil genutzt von der Universität Ventspils. Das große 32-Meter-Teleskop ist das achtgrößte der Welt und das größte und präziseste in Nordeuropa. Statt Abhöraktionen erforscht man heute die Beschaffenheit der Sterne, Sonnenwinde und galaktische Bewegungen.

Die Anlage kann nach vorheriger Anmeldung mit Führer besichtigt werden, was aber nach meiner Meinung ziemlich teuer ist. Ich habe darauf verzichtet.

Irbene
Irbene

Leuchttürme

Entlang der livländischen Küste zwischen Ventspils und Kap Kolka zeugen zahlreiche Leuchttürme von der Bedeutung dieser gefährlichen Gewässer für die Seefahrt. Viele der Türme stammen aus dem 19. Jahrhundert und dienten der Orientierung in einer Zeit, als noch keine elektronische Navigation existierte.

Am Kap Kolka selbst steht der jüngere Leuchtturm (Kolkas bāka) auf einer künstlich aufgeschütteten Insel am Ende der Sandbank. Hier ist der gefährlichste Ort für die Schifffahrt und auf dem vorgelagerten Meeresgrund liegen mehr Schiffswracks als irgendwo sonst in der Ostsee.
Der ältere war ein achteckiger Holzturm und ist der auch hier tätigen Erosion zum Opfer gefallen. Die Ruinen seiner gemauerten Fundamente sind an der Wasserlinie noch erkennbar.
Kolkas bāka markiert die nördlichste Spitze Kurlands – stummer Wächter über einen der exponiertesten Küstenabschnitte der Ostsee.

Südlich von Kolka, verstreut entlang der Küste, finden sich weitere historische Leuchttürme: in Ovīši, Sīkrags, Miķeļtornis, Akmenrags und an anderen Punkten. Manche sind verfallen, andere restauriert, einige noch in Betrieb. Sie alle erzählen von der rauen See, den Stürmen und den Gefahren, denen Seefahrer hier über Jahrhunderte ausgesetzt waren. Besucht habe ich einige davon.

Reise durch das Baltikum
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Estland – Inseln und Moore

Saaremaa – die größte Insel

Die Anfahrt nach Saaremaa (früher Ösel) mit der Fähre war etwas schwierig. Im Laufe des Tages war eine Fähre ausgefallen und es hatte länger gedauert, bis eine zweite Fähre vor Ort war. Demzufolge stand eine ca. zwei km lange Autoschlange vor dem Hafen. Aber irgendwann war auch für mich ein Plätzchen frei auf dem Schiff. Nur auf dem Stellplatz Koiguste Sadam bin ich dann mitten in der Nacht angekommen, ohne irgendjemanden anzutreffen.
Am nächsten Morgen hat sich alles geklärt: auch die Gastgeberin stand in der Schlange, kam aber erst nach mir an.

Reise durch das Baltikum

Kuressaare – der Bischofssitz

Kuressaare (früher Arensburg) ist die einzige Stadt auf der Insel und liegt idyllisch direkt an der Südküste, zwischen den Buchten Sepamaa laht im Osten sowie Kuressaare laht und Linnulaht im Westen.

Die steinerne Burg von Kuressaare entstand im 14. Jahrhundert als befestigte Residenz für die Bischöfe des Bistums Ösel-Wiek. Die Lage auf Saaremaa bot strategische Kontrolle über Seewege, natürlichen Schutz durch die umliegenden Gewässer und eine besser verteidigbare Basis gegenüber lokalen Widerständen und rivalisierenden Ordensmächten. Deshalb verlegten die Bischöfe ihren Sitz hierher, um Verwaltung, Verteidigung und kirchliche Autorität von einer zentral gelegenen, gut abgesicherten Burg aus zu bündeln.

Im Verlauf der Jahrhunderte wurde die Anlage mehrfach ausgebaut, befestigt und teilmodernisiert; sie widerstand Belagerungen, wechselnden Herrschaften und integrierte Elemente spätmittelalterlicher Festungsbaukunst. Nach dem Ende ihrer militärischen Rolle wandelte sich die Burg zu einem kulturellen und musealen Zentrum. Heute beherbergt das Bauwerk das Saaremaa-Museum mit Dauerausstellungen zur Inselgeschichte und dient als wichtiges Symbol regionaler Identität; die gut erhaltene Substanz macht die Burg zu einer der bedeutendsten und am besten bewahrten Befestigungsanlagen Estlands.

Ein Rundgang entlang der ehemaligen Befestigungen hat mir sehr gefallen und ist zu empfehlen. Er macht die Ausdehnung der Anlage deutlich und bietet einen schönen Blick auf den zugehörigen Park und die Ostsee.

Kuressaare
Kuressaare
Kuressaare

Widerstand im Schatten – die Waldbrüder

Nach der sowjetischen Wiederbesetzung des Baltikums 1944/45 leisteten die sogenannten Waldbrüder (estnisch: metsavennad, lettisch: meža brāļi, litauisch: miško broliai) bewaffneten Widerstand gegen die Sowjetmacht. Tausende Männer – ehemalige Soldaten, Bauern, Intellektuelle – flohen in die Wälder und führten von dort aus einen jahrelangen Guerillakrieg. Sie hofften auf Unterstützung des Westens und auf ein Ende der sowjetischen Besatzung.

Der Widerstand war besonders in den ersten Nachkriegsjahren aktiv. Die Waldbrüder überfielen sowjetische Einrichtungen, sabotierten Kolchosen und schützten Einheimische vor Deportationen. Die Sowjets reagierten mit brutaler Gewalt: Massendeportationen, Erschießungen, Infiltration durch Spione. Bis Mitte der 1950er Jahre war der organisierte Widerstand weitgehend zerschlagen – die letzten Waldbrüder hielten sich vereinzelt bis in die 1960er Jahre.

Auch Saaremaa war Schauplatz dieses Widerstands. Die Insel bot durch ihre abgelegene Lage und die Nähe zur See operative Vorteile – und tatsächlich haben westliche Geheimdienste die Waldbrüder unterstützt. Der Britisch Baltic Fishery Protection Service diente als Tarnung für die geheime Operation Jungle: unter dem Deckmantel von britischen Fischereikontrollen setzten deutsche Schnellboote Widerstandskämpfer und Agenten an der baltischen Küste ab oder nahmen sie auf und lieferten Waffen und Nachrichtentechnik.

Ich hatte einen Bekannten, der im Rahmen dieser Operation auf einem der Schnellboote fuhr und an den Aktionen an der Küste und hier auf Saaremaa beteiligt war. Diese persönliche Verbindung war einer der Gründe, warum ich die Insel besuchen wollte – um den Ort zu sehen, der nicht nur für seine Natur und Geschichte bekannt ist, sondern auch für den stillen Mut von Menschen, die im Schatten kämpften.

Heute erinnern Gedenksteine und kleine Museen an die Waldbrüder – Menschen, die für ihre Heimat und Freiheit ihr Leben riskierten und oft verloren.

Küsten, Windmühlen und ein Krater

Neben einigen interessanten kulturellen Orten auf der Insel (ich komme noch dazu) sind es auch hier Küstenabschnitte, die faszinieren. Der erste Abschnitt lag für mich ganz im Süden. Die Sörve-Halbinsel, ist ein 30 km langer, schmaler Landstreifen, an dessen Ende natürlich ein Leuchtturm steht. Und dann wird die Landzunge so schmal, dass ich auf Kieselsteinen mitten im Wasser gestanden habe.

Auf dem Weg zur Halbinsel kam ich an einem sowjetischen Denkmal für das Gefecht bei Tehumardi gegen deutschen Truppen im WK II vorbei. Es kennzeichnet den aktuellen Umgang mit Denkmälern dieser Art. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, der hier mehr Menschen bewegt als in Deutschland, war die Frage, wie damit umzugehen wäre: entfernen oder stehenlassen? Man entschied sich, sie im Wesentlichen stehen zu lassen, hat aber alle heroischen russischen Inschriften entfernt oder überdeckt, wie hier. Die Gräber der in diesem Gefecht gefallenen russischen Soldaten wurden allerdings entfernt.

Nach dem Süden ging es in den Norden zu den Landzungen von Tagaranna und Panga. Bei Panga befindet sich die höchste Steilküste von Saaremaa, über 20 m bricht hier der Kalkstein ab. Der beginnende Sonnenuntergang tauchte die Landschaft in ein idyllisches Licht und auf dem Weg zum kleinen Fährort Triigi ging die Sonne vollends unter. In Triigi habe ich dann auch übernachtet.

Zunächst hatte ich vor, noch die Nachbarinsel Hiiumaa zu besuchen, musste aber leider feststellen, dass meine Zeit dazu nicht mehr reichte. Also ging es von hier auf den Rückweg. Vorher aber standen noch der Windmühlenhügel bei Angla und der Meteoritenkrater bei Kaali auf meiner Liste.

Die Windmühlen bei Angla sind so ziemlich die letzten auf der Insel. Früher stand nahezu an jedem Bauernhof eine derartige Mühle. Windmühlen gehören zu den Wahrzeichen der Insel.

Kaali-Meteoritenkrater

Vor ungefähr viertausend Jahren ist bei Kaali ein ca. 80 t schwerer Meteorit eingeschlagen. Vor dem Einschlag haben sich Teile vom Meteorit gelöst, sodass um den Hauptkrater herum acht weitere Einschläge bekannt sind. Man schätzt, dass die Wucht des Einschlags mit der Energie der Hiroshima-Bombe vergleichbar war. Um den Krater mit Tümpel liegt ein hoher Erdwall. Auf Bildern sieht das weniger spektakulär aus, als vor Ort. Entgegen meiner Erwartung war ich ziemlich beeindruckt.
Das Ereignis selbst wird auch die Ureinwohner beeindruckt haben, und zu zahlreichen Mythen geführt haben. Auswirkungen auf die Kunst hat es noch heute.

Saaremaa
Saaremaa
Saaremaa
Saarema
Saaremaa
Saaremaa
Saarema
Saarema

Die Rückfahrt von der Insel gestaltete sich ähnlich wie die Hinfahrt. Diesmal stand ich an der Fähre in der Schlange des Wochenend-Rückreiseverkehrs.

Als nächstes größeres Ziel stand Riga auf meiner Liste, aber auf dem Weg dahin wollte ich unbedingt die Moorlandschaft um Soomaa besuchen. Soomaa-Info habe ich noch am selben Tag erreicht und dort auf dem nagelneuen RMK-Platz übernachtet.

Soomaa – im Reich der Moore

Der Soomaa-Nationalpark in Südwest-Estland ist ein Bereich der Stille und Kontemplation. Riesige Moore, Auenwälder und Flusslandschaften verschmelzen hier zu einer weitgehend unberührten Naturlandschaft, die im Frühling von einer Besonderheit geprägt wird: der „fünften Jahreszeit“. Dann treten die Flüsse über die Ufer, Wiesen und Wälder verwandeln sich in seichte Seen, und Kanufahren wird zur einzigen Möglichkeit, Verbindung zur Außenwelt zu halten.

Im September, als ich dort war, herrschte eine andere Stimmung. Die Moore lagen ruhig da, das Wasser hatte sich längst zurückgezogen, und die Wege durch die Feuchtgebiete waren begehbar. Ich bin den Biberpfad und den Riisa-Pfad gelaufen – beide führen auf Holzstegen durch die Moorlandschaft. Es hatte geregnet und trotz der grauen Wolken haben die herbstlichen Farben geleuchtet.

Die Vegetation ist üppig: Sumpfkräuter, Orchideen und weite Moorflächen bieten Rückzugsraum für unzählige Insekten und Amphibien.

Soomaa ist kein spektakuläres Reiseziel im klassischen Sinne. Es gibt keine imposanten Bauwerke, keine dramatischen Felsformationen. Aber genau das macht den Reiz aus: die Ruhe, die Weite, das Gefühl, in einer Landschaft zu sein, die sich selbst überlassen wurde. Ein Ort, an dem man durchatmen kann. Ganz wenige Besucher waren mit mir dort, und immer wieder haben idyllische Plätze eine meditative Einkehr gestattet.

Soomaa
Soomaa
Soomaa
Soomaa
Soomaa
Soomaa

Lettland – Burgen, Schlösser und die Hauptstadt

Am 15.09.25 ab 16:00 Uhr wieder in Lettland. Größeres Ziel war die Hauptstadt Riga, die ich auf der Fahrt nach Norden aus Gründen der Witterung (es hatte geschüttet wie aus Eimern) ausgelassen hatte und nunmehr nachholen wollte. Entlang des Weges in die Hauptstadt hatte ich mir die Burg in Cēsis für einen Besuch notiert.

Cēsis und Līgatne Papierfabrik – im Gauja-Nationalpark

Cēsu pils (deutsch: Burg Wenden) ist die Ruine einer ehemaligen Deutschordensburg in der lettischen Stadt Cēsis (deutsch: Wenden). Die Anlage steht unter Denkmalschutz und zählt zu den besterhaltenen Burgruinen Lettlands. Ihre Bedeutung hatte die Burg im Mittelalter als Sitz des livländischen Landmeisters und Verwaltungszentrum des gesamten Ordensbesitzes in Livland. Die Ruine wurde ab 1912 bis in die heutige Zeit instand gehalten und teilweise renoviert, blieb aber Ruine.

Ich war gegen 17:00 Uhr an der Burg, die bis 18:00 Uhr zu besichtigen war. Aufgrund der kurzen Zeit habe ich darauf verzichtet und bin außen um die Anlage gewandert. Größe und Lage haben mich dann nachhaltig beeindruckt.

Cesis
Cesis
Cesis

Auf dem weiteren Weg bin ich auf die Papierfabrik in Līgatne gestoßen. Der Ort ist ursprünglich eine Siedlung für die Arbeiter der Papierfabrik, die seit 1815 existiert. In einem damals einzigartigen sozialen Modell wurden den Arbeitern freie Wohnung, Heizung, Strom, Altersversorgung usw. gewährt. Für die Kinder gab es eine dreiklassige Schule und freie Lernmittel.

Die Papierfabrik ist 2014 in Konkurs gegangen, einige Gebäude sind schon länger zerfallen. Interessant fand ich die von den Einwohnern im weichen Sandstein angelegten Keller, zur Lagerung von Lebensmitteln.

Die rotgelb leuchtenden Sandsteinfelsen sind ein typisches Zeichen für die Landschaft entlang der Gauja im Gauja-Nationalpark. Diesen Park zu erkunden, habe ich mir für das nächste Mal vorgenommen, diesmal war die Zeit knapp.

Deshalb konnte ich leider den in der Nähe liegenden Bunker auch nicht besuchen.
Tief unter dem Erholungszentrum (sinnvoll), in den Sandsteinfelsen, ließ die sowjetische Führung in den 1980er Jahren einen geheimen Atombunker anlegen – ein unterirdisches Ausweichquartier für die kommunistische Parteiführung Lettlands im Falle eines Atomkriegs. Der Bunker konnte bis zu 250 Personen Schutz bieten und war mit allem ausgestattet, was für ein monatelanges Überleben nötig gewesen wäre. Heute kann die Anlage besichtigt werden – ein bedrückender Einblick in die Paranoia des Kalten Krieges.

Ligatne
Ligatne
Ligatne

Riga – Metropole des Baltikums

Und jetzt endlich Riga. Auf dem Weg dorthin wollte ich noch in Sigulda Turaidas Pils (deutsch: Burg Treyden) besuchen, aber dort war ein derartiger Touristenauftrieb, dass ich darauf verzichtet habe. Auch der Versuch, am Gegenhang ein brauchbares Bild der Burg zu bekommen, ist fehlgeschlagen.

Riga, die Hauptstadt Lettlands und mit knapp 600.000 Einwohnern größte Stadt des Baltikums, empfing mich am 16. September am Stellplatz Camping&Yachts auf der Insel Ķīpsala. Auch wenn das Ambiente etwas industriell ist – ich stand direkt an der Daugava (Düna) und hatte einen wunderbaren Blick auf die Stadt.

Reise durch das Baltikum

Die Altstadt

Natürlich beginnt ein Riga-Besuch in der Altstadt, die seit 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Sie ist ein kompaktes Labyrinth aus Kopfsteinpflaster, engen Gassen und Fassaden aus verschiedenen Jahrhunderten – vom Mittelalter über den Barock bis ins 19. Jahrhundert.

Am Rathausplatz steht das Haus der Schwarzhäupter, dessen prunkvolle Fassade zu den meistfotografierten Gebäuden der Stadt gehört. Das Original wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, der heutige Bau ist eine Rekonstruktion von 1999 – aber eine beeindruckende. Gleich daneben erhebt sich der Turm der St.-Petri-Kirche, von dessen Aussichtsplattform man einen weiten Blick über die Dächer Rigas hat.

Der Dom (Rīgas Doms), eine der größten Kirchen des Baltikums, thront massiv über dem Domplatz. Seine Orgel aus dem 19. Jahrhundert galt einst als eine der größten der Welt. In den stillen Innenhöfen und versteckten Arkaden der Altstadt kann man dem Trubel der Hauptstraßen entkommen – hier spürt man noch das alte Riga.

Ein kurioses Detail am Rande: Die Drei Brüder (Trīs brāļi) in der Mazā Pils iela zeigen drei Wohnhäuser aus dem 15. bis 17. Jahrhundert, die dicht nebeneinanderstehen und unterschiedliche Baustile repräsentieren. Sie gehören zu den ältesten erhaltenen Wohngebäuden der Stadt.

Jugendstil-Viertel – Rigas Pracht

Was Riga von anderen baltischen Städten unterscheidet, ist die Jugendstil-Architektur (lettisch: Jūgendstils). Rund um die Alberta iela (Albertstraße) und die benachbarten Straßen steht eine der größten Konzentrationen von Jugendstilbauten in Europa – über 800 Gebäude aus der Zeit um 1900.

Die Fassaden sind opulent verziert: Masken, Pflanzenornamente, mythologische Figuren, geschwungene Linien. Manche Gebäude wirken verspielt, andere streng geometrisch – je nachdem, ob sie dem romantischen oder dem rationalen Jugendstil zuzuordnen sind. Ein Spaziergang durch dieses Viertel ist wie ein Gang durch ein Open-Air-Museum der Architektur um 1900.

Der Zentralmarkt

Ein ganz anderes Riga erlebt man auf dem Zentralmarkt (Centrāltirgus), einem der größten Märkte Europas. Er befindet sich in fünf ehemaligen Zeppelin-Hangars aus dem Ersten Weltkrieg – eine geniale Nachnutzung gigantischer Industriearchitektur. Hier wird alles verkauft: Fisch, Fleisch, Gemüse, Brot, Käse, eingelegte Gurken, geräucherte Aale. Der Markt ist laut, lebendig, authentisch – und riecht intensiv nach geräuchertem Fisch.

Johann Gottfried Herder in Riga

Ein Name, der mit Riga eng verbunden ist, ist Johann Gottfried Herder (1744–1803), der deutsche Philosoph, Theologe und Dichter der Weimarer Klassik. Von 1764 (gerade mal 20 Jahre alt) bis 1769 lebte und arbeitete Herder in Riga als Lehrer und Prediger an der Domschule. Diese Jahre waren prägend für seine Entwicklung: Hier begann er seine Studien über Sprache, Kultur und Volkspoesie, die später zu seinen bedeutendsten Werken führten.

Herder erkannte früh die Bedeutung der Volkskultur und der Muttersprache für die Identität von Nationen – Gedanken, die im 19. Jahrhundert großen Einfluss auf die nationalen Bewegungen in ganz Europa hatten, auch im Baltikum. In Riga ist Herders Andenken bis heute präsent: Eine Gedenktafel am Dom und eine Büste auf dem Domplatz erinnern an den Denker, der hier den Grundstein für sein Lebenswerk legte.

Mein Eindruck

Riga ist laut, geschäftig, manchmal etwas chaotisch – aber genau das macht den Reiz aus. Es ist eine Stadt mit vielen Gesichtern: mittelalterlich in der Altstadt, prunkvoll im Jugendstilviertel, bodenständig auf dem Zentralmarkt. Nach den ruhigen Tagen auf Saaremaa und in Soomaa war Riga ein bewusster Kontrast.

Riga
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Schloss Mitau, Schloss Rundale und die Ordensburg Bauska

Schloss Mitau

Jelgavas Pils (Schloss Mitau) ist Lettlands größtes Barockschloss und auch das größte Barockschloss des Baltikums. Graf Ernst Johan von Biron, ein Günstling der regierenden Gräfin Anna Iwanowna, der späteren Zarin Anna I., ließ das Schloss durch den Baumeister Francesco Rastrelli anstelle der von ihm abgerissenen Burg errichten.
In Kriegen schwer beschädigt, wurde zwischen 1956 und 1964 nur die Außenhülle renoviert. Heute beherbergt es die Lettische Universität für Biowissenschaften und Technologie. Das Schloss kann nicht besichtigt werden, ein angeschlossenes Museum zeigt wenige Teile des ehemaligen Inventars.
Interessant ist allerdings die zu besichtigende Gruft der Herzöge von Kurland und Semgallen im südwestlichen Untergeschoss. Alle Herzöge aus den Häusern Kettler und Biron wurden hier zwischen 1569 und 1791 bestattet.

Schloss Rundale

Das Schloss Rundale und der Park gehören zu den schönsten Schloss-Ensembles Europas. Es wird auch das Versailles Lettlands oder das Versailles des Baltikums genannt.

Auftraggeber war Zarin Anna I., die es für Graf Ernst Johan von Biron bauen ließ. Baumeister war, wie in Jelgava, der Stararchitekt Francesco B. Rastrelli. Baubeginn war 1736, zwei Jahre vor Baubeginn in Jelgava, und 1740, in nur vier Jahren, war der Bau vollendet.

Das Schloss befindet sich heute noch weitgehend im Originalzustand. Weder große Kriegszerstörungen noch wesentliche Umbauten und Stilanpassungen an den veränderten Geschmack der ehemaligen Besitzer zerstören dieses harmonische Bild. Nicht nur die originale Architektur ist erhalten, auch die Ausstattung der Räume ist der Epoche angepasst.

Südlich des Schlosses schließt sich ein 10 ha streng gegliederter französischer Barockpark an, dessen Alleen in den angrenzenden Waldpark führen. Die Gesamtfläche des Schloss-Ensembles beläuft sich damit auf 72 ha.

Am Besuchstag hat es geregnet und ich hätte auch nur noch eine Stunde für die Besichtigung zur Verfügung gehabt. Damit gibt es einen weiteren Grund, in das Baltikum zurückzukehren.

Ordensburg Bauska

Bauskas Pils ist ein Komplex aus der Ruine einer Ordensburg und einem angebauten Renaissance-Schloss in der Stadt Bauska.

Die Ordensburg wurde Mitte des 15. Jahrhunderts errichtet. 1570 ließ der Herzog von Kurland auf dem Platz der Vorburg ein Renaissance-Schloss errichten. Nach den Zerstörungen Anfang des 18. Jahrhunderts und dem fortwährenden Verfall, wurde 1972 mit der Renovierung der Anlage begonnen, die bis in unsere Zeit andauert.

Der Komplex liegt idyllisch auf einem Hügel zwischen zwei Flüsschen, Memele und Müsa. Besonders interessant fand ich eine Ansammlung von christlichen Kreuzen, unmittelbar westlich der Burgruine, die offensichtlich für hier begrabene Chinesen stehen. Die Gräber wurden um 1850 angelegt, in einer Zeit, da Lettland Teil des russischen Imperiums war. Warum also, wurden Chinesen in Russland christlich begraben?

Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum

Litauen – Rückkehr in das Land der Kreuze

Zurück in Litauen war es überhaupt keine Frage : ich musste endlich den Berg der Kreuze besuchen, das litauische Heiligtum. Des Weiteren standen noch der Ort Kėdainiai und die Klöster Tytuvenai und Pazaislis auf dem Programm.

Šiauliai und der Berg der Kreuze

Kein Ort im Baltikum dokumentiert den nationalen Selbstbehauptungswillen so eindringlich wie der Kryžių kalnas (Berg der Kreuze), 12 km nördlich von Šiauliai. Er ist ein Symbol für die Seele Litauens, in der Glaube, Frömmigkeit und der Wille nach Unabhängigkeit tief und fest verankert sind.

Die Ursprünge des Ortes liegen im Dunkeln – Legenden sprechen von einem mittelalterlichen Kloster oder einer Trauerstätte. Der erste belegte Anlass waren Kreuze für die Opfer der Aufstände gegen die russische Herrschaft Mitte des 19. Jahrhunderts. Der nächste Grund waren Kreuze für die Opfer der stalinistischen Verschleppungen nach 1944.

Kreuze haben eine hohe religiöse Symbolik. Eine religiöse Identität widersprach aber der Ideologie des Kommunismus und dem Ziel eines einheitlichen Sowjetmenschen. Also wurde die Kirche zum Gegner des staatlichen Systems.

In der Folgezeit wurde der Berg – der eher ein Hügel ist – von der sowjetischen Armee zerstört und einplaniert: 1961 das erste Mal, in den 1970er Jahren ein letztes Mal. Aber jedes Mal danach wurden die Kreuze in aller Schnelle von der Bevölkerung wieder aufgestellt. Und es wurden immer mehr. Für 1961 nimmt man über 2.000 Kreuze an, 1990 sollen es schon 40.000 gewesen sein.

Das Aufstellen der Kreuze war nicht nur eine private Maßnahme, sondern eingebettet in den nationalen Protest, getragen durch den Katholizismus.

Nach der litauischen Unabhängigkeit ist der Berg der Kreuze kein Ort des Protestes mehr, aber ein katholisch-nationaler Wallfahrtsort (geadelt durch den Besuch von Papst Johannes Paul II. 1993), der zunehmend vom Tourismus vereinnahmt wird. Die Anzahl der Kreuze wird inzwischen auf über 100.000 geschätzt.

Bei meinem Besuch am 18. September 2025 konnte ich mich der eigentümlichen Stimmung des Ortes nicht entziehen. Eingedenk der Geschichte und angesichts der schier überwältigenden Anzahl der Kreuze, Rosenkränze und weiterer Devotionalien war ich schon etwas nachdenklich.

Siauliai
Siauliai
Siauliai
Siauliai
Siauliai
Siauliai

Kėdainiai, Kloster Tytuvėnai und Kloster Pažaislis

Auf dem Rückweg nach Polen führte mich die Route durch das litauische Kernland mit seinen Klöstern und historischen Handelsstädten. In Kėdainiai, einer der ältesten Städte Litauens, zeugen Renaissance- und Barockbauten vom einstigen Wohlstand – die Stadt war im 17. Jahrhundert ein bedeutendes Zentrum des Handels und der Toleranz, in dem Lutheraner, Kalvinisten, Katholiken und Juden friedlich zusammenlebten.

Das Kloster Tytuvėnai, malerisch in der hügeligen Landschaft gelegen, ist seit dem 15. Jahrhundert ein Zentrum bernhardinischer Spiritualität. Die barocke Klosterkirche mit ihren reich verzierten Altären lohnt einen kurzen Stopp.

Höhepunkt war das Kloster Pažaislis am Stadtrand von Kaunas, direkt am Ufer des Kaunas-Stausees. Der monumentale Barockbau aus dem 17. Jahrhundert gehört zu den schönsten Beispielen italienischer Barockarchitektur im Baltikum. Erbaut wurde es vom Orden der Kamaldulenser – jenem Orden, der auch das Kloster Wigry in Polen errichtete, das ich wenige Tage später besuchen sollte. Beide Klöster verbindet nicht nur die Bauherrschaft, sondern auch die idyllische Lage am Wasser und die strenge, kontemplative Spiritualität des Ordens.

Kedainiai
Tytuvenai
Pazaislis

Die letzte Nacht im Baltikum habe ich in Birštonas, einem bekannten Kurort in Litauen, verbracht. Zum Kuren bin ich leider nicht gekommen; am nächsten Tag musste ich die Heimreise antreten.

Damit war meine Reise durch das Baltikum beendet. Für den Rückweg durch Polen hatte ich mir aber noch ein Ziel notiert.

Polen – Letzte Station

Kloster Wigry

Das Kloster Wigry, malerisch auf einer Halbinsel im Wigry-See gelegen, wurde – wie das Kloster Pažaislis in Litauen – vom Orden der Kamaldulenser errichtet. Die Ähnlichkeit in Architektur und Lage ist unübersehbar, hier sind sogar noch die ursprünglichen Klosterzellen erhalten. Das Kloster ist inzwischen säkularisiert und beherbergt ein Museum und ein Hotel.

Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum
Reise durch das Baltikum

Fazit und Ausblick

Was bleibt?

Nach 16 Tagen Reise durch das Baltikum und 5.215 gefahrenen Kilometern durch Litauen, Lettland und Estland kehrte ich mit vielen Eindrücken zurück – und dem sicheren Gefühl, wiederkommen zu wollen.

Die Natur des Baltikums hat mich beeindruckt: Endlose Wälder und menschenleere Strände, die faszinierenden Moorlandschaften von Soomaa, die wandernden Dünen der Kurischen Nehrung. Was diese Landschaften so besonders macht, ist ihre Leere – im positiven Sinne. Hier gibt es noch Raum zum Durchatmen, Stille, Weite. In Zeiten überlaufener Reiseziele ein kostbares Gut.

Die Geschichte des Baltikums ist vielschichtiger, als ich erwartet hatte: Dass schon im 17. Jahrhundert in Städten wie Kėdainiai religiöse Toleranz und internationaler Handel zu Wohlstand führten, war mir neu. Ebenso der große deutsche Anteil an der Geschichte dieser Region – im Guten wie im Schlechten: Deutscher Orden, Hanse, Herzogtümer, die deutschbaltischen Adelsfamilien, aber auch die Besatzung im Zweiten Weltkrieg.

Was mich am meisten bewegt hat: Wir haben vergessen, wie lange und schwer die Last der Sowjetmacht auf diesen Ländern lag. Fast 50 Jahre Unterdrückung, Deportationen, Russifizierung – und dennoch der unbändige Wille, sich als kleines Volk gegen einen übermächtigen Nachbarn zu wehren. Der Berg der Kreuze, die Waldbrüder, die immer wieder aufgestellten Kreuze trotz sowjetischer Bulldozer – das sind Zeugnisse eines Freiheitswillens, der tief beeindruckt.

Das Baltikum ist absolut zu empfehlen – und man sollte die Gelegenheit zu einem Besuch nutzen, solange es noch nicht überlaufen ist. Im September war ich außerhalb der Saison unterwegs, und genau das hat die Reise so angenehm gemacht: wenig Touristen, authentische Begegnungen, Zeit zum Schauen und Nachdenken.

Bei meiner nächsten Reise durch das Baltikum, die auf jeden Fall erfolgen wird, werde ich die Gegenden besuchen, die ich diesmal auslassen musste:

  • Vilnius und Kaunas – die beiden großen Städte Litauens
  • Der östliche Bereich des Baltikums (Lettgallen, Setomaa)
  • Tallinn – Estlands Hauptstadt
  • Der Peipussee – die Grenze zu Russland
  • Narva – die geteilte Stadt am Grenzfluss

Und natürlich: Schloss Rundāle bei besserem Wetter!

Ich freue mich darauf.

Alle Bilder Copyright © 2025 Horst Schmier.


4 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen tollen, sehr persönlichen und informativen Reisebericht. Er macht Lust auf eine solche Reise, auch wenn es viele Kilometer sind. Die Fotos sind (alle!) herausragend. Auch dafür vielen Dank!
    Reinhold

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